Studie »Das ist mein Recht«
Inwiefern wird die UN-Kinderrechtskonvention in Sachsen aus Perspektive sächsischer Kinder und Jugendlicher verwirklicht? Wie erleben sie ihren Alltag und wie werden sie bei der Gestaltung ihres Alltags einbezogen und beteiligt? Diesen Fragen ging die Studie »Das ist mein Recht - Verwirklichung der UN-Kinderrechtskonvention in Sachsen aus der Perspektive sächsischer Kinder und Jugendlicher« nach. Die Studie wurde durchgeführt im Zeitraum von April 2023 bis April 2024. Für Sachsen ist das die erste Studie, die sich explizit mit der Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention beschäftigt und dabei den Blick auf die Kinder und Jugendlichen selbst richtet. Die Studie wurde durch die InterVal GmbH in Kooperation mit dem RAA Sachsen e.V. im Auftrag der Kinder- und Jugendbeauftragten der Sächsischen Staatsregierung durchgeführt.
Nachfolgend stellen wir ihnen einige Ergebnisse der Studie schlaglichtartig vor. Den vollständigen Text der Zusammenfassung der Studie sowie die gesamte Studie können Sie im Download Bereich herunterladen.
Verwirklichung der UN-Kinderrechtskonvention in Sachsen aus der Perspektive sächsischer Kinder und Jugendlicher
Im Fokus der Studie stand die Umsetzung des Rechts auf Beteiligung von Kindern und Jugendlichen in verschiedenen für sie relevanten Lebensbereichen (z. B. Schule, Wohnen, Freizeit) im Sinne von Artikel 12 der UN-Kinderrechtskonvention. Kern der Studie bildeten die Erfahrungen und Sichtweisen der Kinder und Jugendlichen selbst. Mittels quantitativer und qualitativer Methoden wurde untersucht, wie junge Menschen ihren Alltag erleben, wie sie bei dessen Gestaltung einbezogen und beteiligt werden und inwiefern ihre Bedürfnisse und Interessen in verschiedenen Bereichen ihres Lebens Berücksichtigung finden. Ein besonderer Fokus lag dabei auf den Sichtweisen von Kindern und Jugendlichen mit verschiedenen Erfahrungshintergründen (z. B. mit Inklusion, Migration, Leben außerhalb der Herkunftsfamilie).
Methodisches Vorgehen
Zusammenfassung zentraler Ergebnisse
Die Ergebnisse der Studie zeichnen ein differenziertes Bild der Verwirklichung der UN-Kinderrechtskonvention im Freistaat Sachsen und insbesondere der Umsetzung der darin normierten Beteiligungsrechte in verschiedenen Lebensbereichen von Kindern und Jugendlichen. Insgesamt zeigt die Studie zunächst, dass Kinderrechte in Sachsen in vielen Fällen und Bereichen oftmals bereits verwirklicht werden. Dennoch machen die Ergebnisse auch einige Entwicklungsbedarfe bei der Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention und insbesondere von Beteiligungsrechten sichtbar.
Viele sind nicht ausreichend über Kinderrechte informiert
Dass Kinder und Jugendliche ihre Rechte kennen, ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass sie diese im Kontakt mit Erwachsenen selbstbewusst einfordern können und ein Hinweis darauf, wie präsent das Thema im Alltag von jungen Menschen in Sachsen ist.
Die Kenntnis von Kinderrechten unter den befragten Kindern und Jugendlichen sowie Erwachsenen war insgesamt vergleichsweise gut: 44 Prozent der Kinder und Jugendlichen gaben an, einzelne Kinderrechte benennen zu können und weitere 34 Prozent kannten diese mindestens vom Namen her. Unter den befragten Erwachsenen lag der Anteil derjenigen, die einzelne Kinderrechte benennen können, sogar bei 86 Prozent.
Allerdings zeigten sowohl die Fokusgruppeninterviews als auch die Einschätzungen der befragten Erwachsenen, dass häufig konkretes Wissen dazu fehlt, welche Kinderrechte es gibt, was diese alles umfassen, wo sie gelten und vor allem, wie Kinderrechte in konkreten Situationen umgesetzt werden könnten.
Die Meinung junger Menschen wird nicht immer gehört und Berücksichtigt
Gemäß Artikel 12 der UN-Kinderrechtskonvention haben Kinder und Jugendliche ein Recht darauf, in allen sie betreffenden Angelegenheiten nach ihrer Meinung gefragt zu werden.
In der Studie zeigte sich, dass dies nicht immer der Fall ist: Für alle Lebensbereiche (Familie, Wohngruppe, Schule, Verein/Jugendclub, Stadt/Dorf) gaben jeweils 20 Prozent oder mehr der befragten jungen Menschen in der Online-Befragung an, »nie« oder nur »selten« nach ihrer Meinung gefragt zu werden. Dies betrifft in besonderem Maße die kommunale Beteiligung von Kindern und Jugendlichen: Fast 80 Prozent der Befragten machen die Erfahrung, in ihrem Dorf beziehungsweise in ihrer Stadt »nie« oder nur »selten« nach ihrer Meinung gefragt zu werden. Aber auch bei der Beteiligung von Kindern in Freizeiteinrichtungen, in der Schule und in der Familie oder Wohngruppe gibt es nach Einschätzung von Kindern und Jugendlichen noch Entwicklungspotenzial.
Nicht immer haben junge Menschen bei Problemen eine Ansprechperson, an die sie sich wenden können
Ein zentraler Aspekt der Umsetzung von Kinderrechten ist, dass sich Kinder und Jugendliche immer an eine Ansprechperson wenden können, wenn sie Probleme haben oder sich beschweren möchten.
Dies ist aus Sicht der befragten jungen Menschen und Erwachsenen nicht immer der Fall. Betroffen sind dabei alle Bereiche, in besonderem Maße aber Probleme am Wohnort: Über 60 Prozent der befragten jungen Menschen gaben an, bei Problemen in ihrer Stadt beziehungsweise ihrem Dorf keine Ansprechpersonen zu haben. Aber auch bei Problemen in anderen Bereichen (zum Beispiel mit Ärztinnen und Ärzten, im Verein, in der Familie/Wohngruppe und in der Schule) hatten immerhin jeweils zwischen 10 und 27 Prozent der befragten jungen Menschen laut eigenen Angaben nicht immer eine Ansprechperson. Besonders häufig vermissten die befragten Kinder und Jugendlichen laut ihren offenen Angaben in der Online-Befragung Unterstützung bei Mobbing beziehungsweise Diskriminierung.
Viele machen Erfahrungen mit Verletzungen von Kinderrechten, einschließlich Beteiligungsrechte
Laut UN-Kinderrechtskonvention müssen Erwachsene Kinder und Jugendliche über alles, was sie betrifft, informieren – und zwar in einer verständlichen Art und Weise. Dazu zählt auch, dass Kinder und Jugendliche eine verständliche Rückmeldung dazu erhalten, inwiefern ihre Meinung berücksichtigt wird.
Sowohl aus Sicht der befragten jungen Menschen als auch aus Sicht der befragten Erwachsenen werden diese Beteiligungsrechte nicht immer ausreichend gewahrt. Immer wieder machen Kinder und Jugendliche die Erfahrung, dass…
- Erwachsene sie ungerecht behandeln (65 Prozent der befragten jungen Menschen gaben an, dass ihnen dies »sehr oft«, »oft« oder »manchmal« passiere),
- Erwachsene wichtige Dinge eigenmächtig über sie hinweg entscheiden (53 Prozent gaben mindestens »manchmal« an),
- Erwachsene ihnen für sie wichtige Dinge gar nicht oder nicht ausreichend verständlich erklären (48 Prozent gaben mindestens »manchmal« an),
- Erwachsene ihnen keine Rückmeldung auf Beschwerden oder geäußerte Wünsche geben (jeweils 44 Prozent gaben mindestens »manchmal« an).
Laut ihren Angaben in der Online-Befragung passieren diese Situationen jungen Menschen besonders häufig in der Familie/Wohngruppe (66 Prozent) und in der Schule (58 Prozent), aber auch Behörden und Arztpraxen/Krankenhäuser wurden von jeweils knapp 10 Prozent der befragten Kinder und Jugendlichen als Orte genannt, wo ihr Recht auf Beteiligung nicht oder nicht in ausreichendem Maße berücksichtigt wird.
Kinder und Jugendliche fühlen sich nicht immer sicher
Ein wesentliches Recht von Kindern und Jugendlichen ist das auf ein sicheres Umfeld. Dies ist auch eine Voraussetzung dafür, dass sie ihre Beteiligungsmöglichkeiten ausüben können.
Kinder und Jugendliche fühlen sich in verschiedenen Bereichen ihres Alltags nicht immer sicher. Dies betrifft vor allem den öffentlichen Raum, den öffentlichen Nahverkehr sowie den Straßenverkehr: Hier fühlte sich jeweils mehr als die Hälfte der befragten jungen Menschen »gar nicht«, »eher nicht« oder nur »teilweise sicher«. In der Schule lag dieser Anteil immerhin bei 28 Prozent und im häuslichen Kontext (Familie/Wohngruppe) und Freizeit (Verein/Jugendclub) bei jeweils 10 Prozent oder mehr.
Schutz vor Diskriminierung wird nicht immer ausreichend gewahrt
Der Schutz vor Diskriminierung ist ein wesentliches Recht von Kindern und Jugendlichen. Dabei haben Ausgrenzungserfahrungen für die befragten Kinder und Jugendlichen zunächst unabhängig von ihrem Hintergrund große Relevanz. In der Online-Befragung gaben drei von vier befragten jungen Menschen an, mindestens einmal schon von anderen beleidigt, ausgeschlossen oder auf andere Art diskriminiert worden zu sein. Am häufigsten gaben Kinder und Jugendliche an, diskriminiert worden zu sein, weil andere ein Problem mit ihrem Körper hatten. Aber auch andere Punkte wie das Geschlecht, die finanzielle Situation der Familie, die eigene sexuelle Orientierung, die eigene Herkunft oder die der Eltern sowie die Tatsache, nicht bei den Eltern zu leben, wurden in diesem Zusammenhang häufig genannt.
Kinder und Jugendliche in spezifischen Lebenslagen stehen vor besonderen Herausforderungen bei der Wahrnehmung ihres Rechts auf Beteiligung
Die nach Gruppen differenzierte Auswertung der Angaben der Kinder und Jugendlichen in der Online-Befragung zeigt, dass bestimmte Zielgruppen statistisch signifikant häufiger als andere Erfahrungen damit machen, dass ihre Rechte nicht gewahrt werden. Dies betrifft – mit Unterschieden je nach Frage – alle in der Studie berücksichtigten spezifischen Lebenslagen, das heißt: Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund, mit Behinderung(en), queere Minderjährige sowie Minderjährige, die nicht in ihrer Herkunftsfamilie leben. Darüber hinaus wurden auch Unterschiede mit Blick auf Alter, Geschlecht und Wohnort der Befragten deutlich: In der Tendenz zeigten sich etwas größere Herausforderungen für jüngere und weibliche Kinder und Jugendliche sowie für Kinder und Jugendliche aus sehr ländlichen Regionen (insbesondere bei den Themen Sicherheit und Diskriminierung, teils auch bei Beteiligung). Mit Blick auf Stadt/Land-Unterschiede kristallisierte sich jedoch insgesamt kein einheitliches Bild heraus. Beispielsweise wurde in den Fokusgruppen deutlich, dass mit dem ländlichen Raum auch spezifische Potenziale beim Thema Beteiligung verbunden sein können, etwa eine größere Transparenz über und Kenntnis von Beteiligungsmöglichkeiten und Ansprechpersonen.
Es gibt Hinweise auf »blinde Flecken« beim Vergleich der Einschätzungen der Erwachsenen mit denen der Kinder und Jugendlichen
In vielen Punkten waren die Einschätzungen der befragten Kinder und Jugendlichen sowie Erwachsenen deckungsgleich. Es zeigten sich jedoch auch graduelle Unterschiede. Diese betrafen zum Beispiel das Thema Sicherheit im öffentlichen Raum: Probleme im öffentlichen Raum, die das Sicherheitsgefühl von Kindern und Jugendlichen beeinträchtigen, wurden von einzelnen Erwachsenen zwar grundsätzlich gesehen, jedoch räumten sie dem Thema in der Gesamtbetrachtung deutlich weniger Bedeutung ein als die Kinder und Jugendlichen selbst.
Handlungsempfehlungen
Im Folgenden werden einige Ansatzpunkte und Handlungsempfehlungen für eine noch bessere Umsetzung von Kinderrechten in Sachsen beschrieben. Weitere Handlungsempfehlungen können sie in der Studie nachlesen. Die Basis für diese Ansatzpunkte und Empfehlungen bildeten die Ergebnisse der Studie sowie ein Fachkräfteworkshop und Einzelinterviews mit jungen Menschen. Diese Empfehlungen stellen keinen abschließenden Katalog dar. Vielmehr sind diese als Diskussionsgrundlage zu verstehen. Gern möchte die Kinder- und Jugendbeauftragte der Sächsischen Staatsregierung über die Ansatzpunkte und Empfehlungen ins Gespräch kommen – mit Ihnen als Fachkräfte in öffentlicher Verwaltung und Politik im Land und Kommune, in Kita und Schule, in Jugendhilfe und Vereinen, in Polizei, Justiz und Gesundheitswesen und natürlich mit Kindern und Jugendlichen selbst. Laden sie uns ein!
Handlungsfeld | Beispiele |
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A Kinder- und Jugendbeteiligung rechtliche stärken |
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B Kinderrechte für junge Menschen sichtbar erlebbar machen |
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C Erwachsene, die mit Kindern und Jugendlichen Umgang haben, für Kinderrechte Sensibilisierung und zur Umsetzung |
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D Passgenaue Beteiligungsformate in Kommune entwickeln und Dialogformate etablieren |
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E Sicherheit und Schutz vor Diskriminierung für Kinder und Jugendliche gewährleisten |
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F Teilhabebarrieren für Kinder und Jugendliche mit spezifischen Bedarfen abbauen |
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